Gemeinwohl-Ökonomie

Einer wachsenden kooperativen Bewegung auf der Spur

Seit Oktober 2010 setzt sich der Schweizer Christian Felber mit der Idee einer neuen Wirtschaftsordnung, der sogenannten Gemeinwohl-Ökonomie, für ein Umdenken in der Wirtschaft ein. 

Die Zahl der Unterstützer wächst, und immer mehr Menschen setzen sich zum Teil auch recht kritisch mit Felbers Vorschlägen auseinander - alles Gründe, sich ein bisschen intensiver mit der Idee der Gemeinwohl-Ökonomie zu beschäftigen. Das Menschenbild, das dieser Bewegung zugrunde liegt, beschränkt den Menschen nicht länger auf das in Wirtschaftskreisen vorherrschende, recht eindimensionale Bild des rational denkenden homo oeconomicus, sondern will den Menschen in seiner Gänze abbilden: Als emotionales und geistiges Wesen, dem gelingende Beziehungen wichtig sind. Auf das Arbeits- und Wirtschaftsleben bezogen, rücken damit viel mehr die zwischenmenschlichen Faktoren in den Fokus, die uns als Menschen tatsächlich auch ausmachen. Wer selbst Familie und Freunde hat, weiß, dass es in Beziehungen viel um Verständnis und Unterstützung geht, und so drehen sich auch die Grundwerte der Gemeinwohl-Ökonomie um Kooperation und gegenseitige Hilfe. Beides wird im wirtschaftlichen Zusammenhang belohnt, und der Erfolg eines Unternehmens bemisst sich nicht länger an den bekannten Kennzahlen der Betriebswirtschaftslehre, sondern an Zielen wie Bedürfnisbefriedigung, Lebensqualität und Gemeinwohl. Unternehmen bilanzieren nicht mehr ausschließlich konventionell mit Blick auf Gewinnmaximierung, sondern erzielen durch soziales, ökologisches, demokratisches und solidarisches Verhalten eine positive Bilanz. Abgebildet wird das in der sogenannten Gemeinwohl-Bilanz, die bereits von Unternehmen wie der Sparda Bank München, der taz oder dem Outdoor-Ausrüster Vaude erstellt wird. Wer eine gute Gemeinwohl-Bilanz vorweisen kann, soll später u. a. weniger Steuern und geringere Zölle zahlen und günstigere Kredite bekommen. Dadurch werden ethische, ökologische und regionale Produkte automatisch stärker gefördert. Der Umbau der Wirtschaft in Richtung Gemeinwohl-Ökonomie orientiert sich außerdem an einem Vorschlagkatalog, der immer weiter präzisiert wird. Hier finden sich Vorschläge zu demokratischen Banken oder einer neuen Schulform. Zusätzlich soll Menschen neben der täglichen Arbeit ausreichend Zeit bleiben für persönliche Beziehungspflege und den Dienst an der Gesellschaft, jedes 10. Arbeitsjahr wird in diesem Vorschlag zum Freijahr, finanziert durch ein bedingungsloses Grundeinkommen.  
Diese neue Art des Wirtschaftens stößt in der Öffentlichkeit auf reichlich Kritik. Denn so anschaulich die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie klingen mag, für Kritiker bleibt die Frage, wie die konkrete Umsetzung innerhalb einer Gesellschaft und Wirtschaftsordnung funktionieren soll, die seit Jahrzehnten anderen Prinzipien folgt? So wird Felbers Modell vorgeworfen, auf dem Weg zu einer Zwangswirtschaft zu sein, in der kein freies und verantwortungsvolles Unternehmertum mehr herrschen kann, und die Freiheit des Einzelnen stark eingeschränkt wird. Der implizite Wunsch nach einem Wirtschafts-TÜV, der nach ethischen Grundsätzen entscheidet, welches Unternehmen am allgemeinen Leben und Wirtschaften teilhaben darf, führt in den Augen der Kritiker in ähnliche Richtung. 

Alle theoretische Diskussion beiseite gelassen, kommt es aber tatsächlich auch darauf an, welches Menschenbild der jeweiligen Argu­mentation zugrundeliegt. Dabei ist das Menschenbild der Gemeinwohl-Ökonomie eines, dem man auf den ersten Blick lieber folgen möchte, als dem Menschenbild der Kritiker, das sich stark an Wettbewerb, Konkurrenz und Profitdenken ausrichtet. Für die Kritiker wird Felbers Modell schon deshalb niemals funktionieren, weil sie Menschen vor Augen haben, die ihre Freiheit nicht gerne in den Dienst an der Gemeinschaft stellen, sondern frei, ungehindert und damit auch auf Kosten anderer, dem natürlichen Weg des Wachstums folgen. Eine Entwicklung, die die Gemeinwohl-Ökonomie zwar nicht völlig, aber in ihrer Unmäßigkeit bremsen will. 

So gesehen findet man sich schnell in einer Argumentationsschleife wieder, die wir nur gemeinsam verlassen können - indem jeder die Chance wahrnimmt, auch einmal über den eigenen Tellerrand zu blicken. 

www.ecogood.org

(sg)